Literaturepochen
Der folgende Artikel gibt eine Übersicht über die einzelnen Literaturepochen der deutschen Geschichte.
Es existieren mehrere Synonyme für den Begriff der Literaturepoche: Zeitalter, Zeitabschnitt, Ära, Periode oder Zeitspanne. Egal welchen dieser Begriffe man auch verwenden mag, hinter jedem steckt in Zusammenhang mit einer spezifischen Literaturepoche ein bestimmter Esprit (Zeitgeist).
Literaturepochen vereinen Denker und Literaten unter einem gemeinsamen Lebensgefühl, einer Idee, einer bestimmten Ästhetik und bevorzugten Stilelementen. Nur in den seltensten Fällen war man sich dessen aber bewusst. Einteilungen in verschiedene Perioden wurden oftmals erst im Nachhinein als solche festgestellt. Zu Beginn einer Entwicklung in eine nicht nur örtliche, sondern die Nation betreffende Epoche, standen meist kleinere Strömungen. Der Zeitpunkt, zu dem eine literarische Strömung zu einer literarischen Epoche wird, lässt sich in etwa feststellen, wenn ein Großteil der Autoren auf nationaler (und nicht nur regionaler) Ebene, sich diesem Zeitgeist anschließt.
Übrigens: Im Moment wird die Literatur der Gegenwart unter den Begriffen Moderne und Postmoderne subsumiert. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass in 50 oder mehr Jahren von den Geschichtsschreibern ein völlig anderer Begriff für die heutige Zeit verwendet wird.
Im folgenden eine Übersichtsliste über die deutschen Literaturepochen, ihrer ungefähren Zeitspanne, sowie den wichtigsten Autoren dieser Zeit:
Literaturepochen | Zeitspanne | Wichtige Autoren |
---|---|---|
Mittelalter | 600-1600 | Hildegard von Bingen, Martin Luther, Walther von der Vogelweide |
Barock | 1600-1720 | Paul Fleming, Jakob Christoffel von Grimmelshausen, Andreas Gryphius, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Martin Opitz |
Aufklärung | 1720-1800 | Immanuel Kant, Gottfried Wilhelm Leibniz, Gotthold Ephraim Lessing Christoph Martin Wieland |
Sturm und Drang | 1770-1785 | Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller |
Weimarer Klassik | 1786-1805 | Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder, Friedrich Schiller, Christoph Martin Wieland |
Romantik | 1795-1840 | Clemens Brentano, Joseph Freiherr von Eichendorff, E.T.A. Hoffmann, Novalis |
Biedermeier | 1815-1848 | Anette von Droste-Hülshoff, Franz Grillparzer, Eduard Mörike, Adalbert Stifter |
Vormärz | 1830-1848 | Georg Büchner, Georg Herwegh, Heinrich Heine |
Realismus | 1850-1890 | Theodor Fontane, Gottfried Keller, Theodor Storm |
Naturalismus | 1875-1900 | Carl und Gerhart Hauptmann, Henrik Ibsen |
Expressionismus | 1910-1925 | Gottfried Benn, Georg Heym, Georg Trakl |
Neue Sachlichkeit | 1925-1940 | Bertolt Brecht, Ödön von Horvath, Erich Kästner, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky |
Moderne | 1900-2013 | Franz Kafka, Hermann Hesse, Thomas Mann, Robert Musil, Rainer Maria Rilke, Arthur Schnitzler |
Literaturepoche: Mittelalter (600-1600)
Wissenswertes über die Epoche:
- Geschichten und Erzählungen werden über Lieder und Gesang (z.B. Minnesang) von Stadt zu Stadt getragen.
- Interesse an Literatur ist praktisch kaum vorhanden, da hauptsächlich nur der Klerus lesen kann.
- Die katholische Kirche bestimmt lange Zeit das Weltbild, ehe es durch Martin Luther zur Reformation kommt.
- Im Humanismus gerät erstmals der Mensch selbst in den Mittelpunkt. Die Antike gilt dabei als Vorbild für Werte und Normen.
- Walther von der Vogelweide gilt heute mit über 200 Liedern als der bedeutenste deutschsprachige Lyriker des Mittelalters.
Literaturepoche: Barock (1600-1720)
Wissenswertes über die Epoche:
- Dreißigjähriger Krieg und Absolutismus prägten maßgeblich die Epoche.
- Drei Hauptmotive: Carpe Diem (Nutze den Tag), Memento Mori (Bedenke, dass du sterben musst) und Vanitas (Vergänglichkeit).
- Sonette als bevorzugte Form der Lyrik.
- innerer Widerspruch zwischen Schönheit der Form (Sonette) und thematischem Inhalt (Krieg, Tod und Vergänglichkeit).
- Antithetik in der Literatur (Diesseits - Jenseis, Sein - Schein).
- "Der abenteuerliche Simplicissimus" von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen als wichtigstes Werk der zeitgenössischen Epik.
Literaturepoche: Aufklärung (1720-1800)
Wissenswertes über die Epoche:
- Die Aufklärung leutet europaweit das Ende der Zeit des Absolutismus ein
- Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten (1776) und französische Revolution (1789) sind letztendlich die Folgen der Aufklärung
- Kritik an Staat und Religion. Die Kirche verliert an Einfluss
- Schriften von Thomas Hobbes, Voltaire und Jean Jacques Rousseau nehmen großen Einfluss auf deutsche Aufklärer
- Immanuel Kant liefert 1784 mit seinem wichtigen Essay "Was ist Aufklärung?" die begriffliche Grundlage der Literaturepoche.
- Der Mensch selbst gerät in den Mittelpunkt. Die Aufklärer fordern Naturrechte ein
Literaturepoche: Sturm und Drang (1770-1785)
Wissenswertes über die Epoche:
- Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller prägen praktisch im Alleingang die Literaturepoche des Sturm und Drangs
- Im Mittelpunkt steht das Genie, weshalb diese Periode auch als "Geniezeit" bekannt ist
- Motive: Natur, Individualismus, Spontanität, Empfindungen und Gefühle
- Ablehnung von Traditionen, Autoritäten und Normen
- Die Literaturgattung "Drama" wird zum zentralen Ausdrucksmittel. Dem Drama wird eine pädagogische Funktion zugeschrieben, es soll die Menschen erziehen
- Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" und Schillers "Die Räuber" werden innerhalb kürzester Zeit europaweit zu den bekanntesten Werken und erreichen "Kultstatus"
Literaturepoche: Weimarer Klassik (1786-1805)
Wissenswertes über die Epoche:
- Christoph Martin Wieland, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller und Johann Gottfried Herder gelten als das "Weimarer Viergestirn"
- Der Begriff "Weimarer Klassik" leitet sich einerseits aus dem Wirkungsort von Schiller und Goethe (Weimar), als auch von den Vorbildern der Antike ab, die prägend für die Epoche waren.
- Motive: Harmonie, Vollkommenheit, Ästhetizismus, Schönheit -> "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut"
- Lyrik und Epik rücken zunehmend als bevorzugte Literaturgattung in den Vordergrund
- Humanität als wichtige Tugend
Literaturepoche: Romantik (1795-1840)
Wissenswertes über die Epoche:
- Die Literaturepoche der Romantik gilt als Gegenbewegung zur Weimarer Klassik
- Loslösung von klassischen Elementen hin zu subjektiven Empfindungen
- Motive: Gefühle, Empfindungen, Romantik, Liebe, Mystik, Sehnsucht, Unendlichkeit und Schönheit der Natur
- Ablehnung gegenüber der zeitgenössischen Politik
- Synästhesien, Personifikationen und Metaphern rücken stilistisch in den Vordergrund
- Innerhalb der Epoche wird zwischen Frühromantik (1795-1804), Hochromantik (bis 1805-1820) und Spätromantik (1821-1848) unterschieden
Literaturepoche: Biedermeier (1815-1848)
Wissenswertes über die Epoche:
- Wiener Kongress (1815), Karlsbader Beschlüsse (1819) und die Restaurationspolitik durch Fürst von Metternich bilden den historischen Rahmen für die Zeit des Biedermeiers
- Motive der Literaturepoche: Normalität, Heimat, Idylle, Familie, Melancholie
- Kurze epische Erzählungen (z.B. Novellen, Märchen) werden zu den bevorzugten Literaturtypen
- Rückzug ins Private. Man ist sich der politischen Unruhen zwar bewusst, ignoriert diese aber weitgehend (im Gegensatz zur Epoche des Vormärz)
- Annette von Droste-Hülshoff und Eduard Mörike als die beiden bekanntesten Vertreter der Biedermeierzeit
Literaturepoche: Vormärz (1830-1848)
Wissenswertes über die Epoche:
- Ablehnung der Restaurationspolitik von Fürst von Metternich. Befürwortung eines einheitlichen Deutschlands
- Einforderung von Demokratie und Menschenrechten
- Parodien, Satiren und Dramen als bevorzugte Stilgattungen. Außerdem wird Politik erstmals Thema in der Literatur
- Beispiele für die Politisierung der Literatur: "Der Hessische Landbote" (Georg Büchner), "Die schlesischen Weber" und "Deutschland. Ein Wintermärchen" (Heinrich Heine)
- Kritik an den Folgen der Industrialisierung: Pauperismus (Massenarmut), lange Arbeitszeiten, niedrige Löhne, Ausbeutung
- Die Literaturepoche des Vormärzes endet mit der Deutsche Revolution 1848/1849
Literaturepoche: Realismus (1850-1890)
Wissenswertes über die Epoche:
- Literatur hat die Aufgabe, die Wirklichkeit so realitätsnah wie möglich zu beschreiben. Verzicht von Idealisierung und beschönigenden Metaphern
- Industrialisierung, Deutsche Revolution 1848, Reichsgründung 1871 und die deutsche Kaiserzeit bilden den historischer Rahmen
- literarischer Stil: detailreiche Sprache, distanziert, auktoriale Erzählperspektive
- Gesellschaftsromane, Balladen und Novellen als bevorzugte Gattungen
- Fontane gehört mit den Werken "Effi Briest", "Irrungen, Wirrungen." und "Frau Jenny Treibel" zu den wichtigsten Vertretern des Realismus
Literaturepoche: Naturalismus (1875-1900)
Wissenswertes über die Epoche:
- Der Naturalismus versucht ähnlich wie der Realismus an der Realität anzusetzen. Die Welt soll so realitätsnah wie möglich dargestellt werden
- Kombination von Prosa und Lyrik zu einer Mischform (Prosalyrik)
- Der Mensch wird mit Blick auf seiner sozialen Rolle und seinem sozialem Umfeld beurteilt. Zusätzlich veränderte Charles Darwins Evolutionstheorie bedeutend das Menschenbild
- die Autoren des deutschen Naturalismus sind im Wesentlichen durch ausländische Literaten wie Dostojewski, Tolstoi und Zola beeinflusst worden
- Aus dem Naturalismus entwickelten sich die frühen Strömungen des Symbolismus, Fin de siècle und Expressionismus
- Gerhart Hauptmann, Henrik Ibsen und Arno Holz gehören zu den wichtigsten Vertretern des Naturalismus
Literaturepoche: Expressionismus (1910-1925)
Wissenswertes über die Epoche:
- Der erste Weltkrieg (1914-1918) prägte die literarische Epoche maßgeblich
- Die zeitgenössische Lyrik kritisiert oder behandelt inhaltlich häufig die Industrialisierung und ihre Folgen
- Neologismen, Syntaxveränderungen, Metaphern, Symbole und Hyperbeln gehören zu den bevorzugten Stilmitteln
- Großstädte (z.B. Berlin und Wien) rückten in den Mittelpunkt vieler Künstler und Literaten
- Verfall, Krieg, Tod, Entfremdung, Apokalypse und Zerstörung als immer wiederkehrende Motive
- wichtige Werke: "Berlin Alexanderplatz" (Alfred Döblin), "Morgue" (Gottfried Benn), "Umbra vitae" (Georg Heym)
Literaturepoche: Moderne (1900-heute)
Wissenswertes über die Epoche:
- Der Mauerfall und das Ende des Kalten Krieges leiten die Postmoderne ein. Exilliteratur (1933-1945) und Trümmerliteratur (ab 1945) sind durch Aufstieg und Niederlage der Nationalsozialisten geschuldet
- Die Epoche der Moderne ist im Vergleich zu den vorherigen Literaturepochen stilistisch nicht mehr einzugrenzen
- Umfassende Benutzung von Stilmitteln jeglicher Art. Grenzen werden ausgetestet
- Die Freiheit steht im Vordergrund. Kunst & Literatur sind erstmals in der Historie keiner Zensur mehr unterworfen und jederzeit verfügbar
- Bedeutende Literaten: Brecht, Böll, Celan, Dürrenmatt, Grass, Hesse, Kästner, Lenz, Mann, Rilke, Schnitzler, Tucholsky, Walser